„Schubumkehr“ – Nützlich oder eine unnütze Gefahr?
Die Einführung von Schubumkehrern lässt sich bis ins frühe Düsenzeitalter zurückverfolgen. Als die ersten kommerziellen Düsenflugzeuge wie die de Havilland Comet und die Boeing 707 in Dienst gestellt wurden, waren sie durch ihre Bremssysteme eingeschränkt. Die für diese Flugzeuge erforderliche Start- und Landebahnlänge war beträchtlich. Frühe Versuche, die Abbremsung zu verbessern, beinhalteten Fallschirme, die jedoch für den kommerziellen Betrieb nicht praktikabel waren.
Ab den 1960er Jahren gehörten Schubumkehrer bei den meisten Düsenflugzeugen zur Standardausrüstung. Sie spielten eine unverzichtbare Rolle, da sie es den Jets ermöglichten,
von kürzeren Start- und Landebahnen aus zu operieren, wodurch sich das Spektrum der Flughäfen, die sie anfliegen konnten, erweiterte.
Grundprinzipien
Das Prinzip der Schubumkehr ist relativ einfach: Der Schub des Triebwerks wird umgeleitet, um eine Kraft zu erzeugen, die der Vorwärtsbewegung des Flugzeugs entgegenwirkt. Bei Düsentriebwerken wird dies durch den Einsatz einer Reihe von Klappen oder Blockern erreicht, die den Strahl nach vorne oder zur Seite ablenken.
Es gibt hauptsächlich zwei Arten von Schubumkehrern, die auf dem Mechanismus basieren:
„File:Boeing 737-200 thrust reverser active.jpg“ by Boeing_737-200_thrust_reverser.jpg: Bryan, USA derivative work: Altair78, CC BY 2.0 .
Oben im Bild: Zweischalen- oder Eimertyp – Hauptsächlich bei früheren Triebwerken mit niedrigem Bypass und Turbostrahltriebwerken eingesetzt. Die Schaufelklappen schwingen hinten aus dem Triebwerk heraus, blockieren die Abgase und leiten sie nach vorne um.
Oben im Bild: Kaskadentyp – Diese Art von Schubumkehr ist häufig bei Turbofan-Triebwerken anzutreffen und besteht aus einer Reihe von Kaskaden oder Schaufeln, die die Fan-Luft umlenken. Die Abgase des Kerntriebwerks werden nicht umgelenkt, sondern nur die Bypass-Luft vom Fan.
Da alle modernen Triebwerke aus Effizienz- und Lärmgründen ein recht großes Bypass- bzw. Mantelstromverhältnis besitzen, und damit in Bodennähe mit den großen „Fans“ vorne und dem daraus resultierenden „Mantel“ um die heißen Abgase des Verbrennungs-Kerns der Turbine den Löwenanteil des Schubs liefern, ist der Kaskadentyp heute der hauptsächlich verwendete Typ.
Betriebliche Grenzen. Schubumkehrer werden in der Regel ausgelöst, sobald die Haupträder des Flugzeugs aufsetzen und genug Gewicht tragen, um durch die entstehende Reibung an den Rädern eine Stabilität bieten, die die Nutzung der Schubumkehr am Boden sicher macht.
Diese „Weight On Wheels“ Schalter sind inzwischen Standard bei allen größeren Flugzeugen. Sie messen in der Regel nicht nur generell „Belastung, oder keine Belastung“ im On/Off Verfahren, sondern bieten echte Gewichts- bzw. Belastungsangaben.
Es muss sicher gestellt werden, dass die Schubumkehr nicht unabsichtlich oder durch einen Defekt im Flug auslöst. Das könnte katastrophale Folgen haben.
Ja, einige (Militär-) Flugzeuge, wie z. B. die C-17 Globemaster, können sie im Flug für schnelle Sinkflüge einsetzen, aber das sind Ausnahmen. Und auf eine besondere Maschine in diesem Zusammenhang gibt es hier bald noch einen extra Artikel. Aber das nur am Rande.
Es ist übrigens auch von entscheidender Bedeutung, dass die Umkehrklappen korrekt verstaut (in den nicht ausgefahrenen Zustand zurückgezogen) werden. Ein teilweise ausgefahrener Reverser kann einen asymmetrischen Schub erzeugen, der die Steuerung beeinträchtigt.
Gefahren
Asymmetrische Entfaltung: Wenn sich ein Reverser entfaltet und der andere nicht, kann dies zu einer Gierbewegung führen, die gerade am Boden schwer zu kontrollieren ist.
Unbeabsichtigte Auslösung während des Flugs: Wenn sich eine Schubumkehrvorrichtung während des Fluges auslöst, kann dies durch verschiedene Vorgänge zum Verlust der Kontrolle führen:
Neben der dadurch bedingten Geschwindigkeitsverringerung, die besonders in großen Höhen mit ihrem schmalen nutzbaren Geschwindigkeitsband sofort problematisch wird, kommt es auch zu Veränderungen beim Winkel der angelegten Luftströmung („Angle Of Attack“). (Edit: Nix mit „Approach…!)
Bei unter der Tragfläche montierten Triebwerken kommt es zu einem eher unkritischen „Nase nach unten“ Moment, ist aber der Autopilot eingeschaltet und angewiesen eine bestimmte Vertikalgeschwindigkeit zu halten (Lauda Air Flug 004), trimmt dieser sofort massiv „Nase nach oben“, um erst im Bereich des drohenden Strömungsabrisses sicherheitshalber die Funktion einzustellen. Die Folge:
Ein schweres Flugzeug in großer Höhe, mit hohem Anstellwinkel, niedriger Geschwindigkeit, negativem Schub und einer gestörten Anströmung der Tragflächen im Triebwerksbereich. Unter Umständen eine fatale Kombination, auf jeden Fall ein echtes Problem.
Moderne Flugzeuge verfügen über mehrere Sicherheitssysteme, um dies zu verhindern und ein unbeabsichtigtes Auslösen der Schubumkehr wird sowohl während der Zertifizierung des Flugzeugs als zu lösendes Problem „erflogen“ und „designed“, als auch später im (simulierten!) Trainingsbetrieb immer wieder wieder geübt. Es bleibt in bestimmten Situationen aber trotzdem ein nicht zu unterschätzendes Problem.
Sollte die Schubumkehr in der Luft einseitig aktiviert werden, wiegt dieser Vorgang schwerer als ein Triebwerksausfall, da in diesem Fall nicht nur der Schub am defekten Triebwerk ausfällt und das „tote“ Triebwerk aerodynamisch bremst, es addiert sich zusätzlich der entgegengesetzte Schub und die verschlechterte Aerodynamik des Triebwerks durch das „Ausfahren“ der Schubumkehr.
Die Folgen sind in diesem Fall kaum zu kompensieren und desaströs, weswegen technisch sehr viel unternommen wird, um eine Asymmetrie dieser Art zu verhindern. Tatsächlich ist mir kein Vorfall dieser Art bekannt.
Unfälle
Der oben kurz erwähnte Lauda Air Flug 004 (1991): Die Boeing 767 stürzte ab, nachdem die Schubumkehrvorrichtung während des Steigfluges in großer Höhe „von selbst“ los ging. Eine unglückliche Verkettung von Faktoren führte zu einem Kontrollverlust und einem anschließenden Absturz ohne Überlebende. Dieser Unfall führte zu erheblichen Konstruktions- und Verfahrensänderungen, nachdem der Aufbau der (vereinfachten) Schubumkehr bei der sonst als sehr zuverlässig geltenden Boeing 767 heftig kritisiert wurde.
TAM Airlines Flug 3054 (2007): Der Airbus A320 kam in São Paulo von der Landebahn ab. Eine der Schubumkehrvorrichtungen war nicht funktionsfähig, und das Flugzeug bremste nicht wie erwartet ab.
Lufthansa Flug 2904 (1993): Bei diesem Flugunfall war kein Defekt verantwortlich, sondern ein Zusammenspiel bestimmter Faktoren im Design der Schutzsysteme, der äußeren Faktoren (Wetter) und einer reihe menschlicher Fehler, beginnend bei unzureichenden Informationen über die Wetterlage und den Wind auf der Bahn, bis zu einem nicht idealen Anflug, der unter diesen Bedingungen hätte abgebrochen werden müssen. Ein wichtiger Faktor war aber dass die Schutzsysteme, die ein Auslösen der Schubumkehr im Flug und/oder knapp über der Landebahn verhindern sollten, den Einsatz der Schubumkehr in einer kritischen Situation (Aquaplaning, kein volles Gewicht auf dem Fahrwerk) verhinderten.
Vorteile der Schubumkehr
Kürzere Landestrecken. Auch wenn der Einfluß der Schubumkehr auf die notwendige Landebahnlänge von Laien oft massiv überschätzt wird, ist die Schubumkehr doch sinnvoll. Vor allem in der Anfangsphase des Bremsvorgangs, wenn die Triebwerke noch effizienter sind, als bei niedrigeren Geschwindigkeiten, macht die Schubumkehr Sinn.
Darüber hinaus ist bei höheren Geschwindigkeiten auf „Kontaminierter Bahn“ oft mit Aquaplaning und damit niedriger Bremswirkung zu rechnen. In dieser frühen Phase der Landung wird besonders viel Strecke „verschwendet“, da pro Sekunde schlechter Bremsleistung umso mehr „Meter verschenkt“ werden.
Geringerer Bremsenverschleiß. Durch die Unterstützung beim Abbremsen verringern sie den Verschleiß der Radbremsen, was zu geringeren Wartungskosten führt.
Dieser Faktor ist differenziert zu betrachten. Es gibt beispielsweise Flugzeuge, deren aerodynamische Bremswirkung nach dem Aufsetzen massiv erhöht werden kann, indem „die Nase oben gehalten wird“. Dem von vorne auftreffenden Luftstrom stellt sich die betreffende Flugzeugtragfläche nicht mehr als „scharfes flaches Messer“ dar, sondern als „große Fläche“, die viel Widerstand bietet. Ebenso ist der Rumpf kein „schmaler Stift von vorne“, sondern durch das „Aufstellen“ ein Objekt mit großem Luftwiderstand.
Wird auf diese Art „gebremst“, kann man keine Schubumkehr einsetzen, da die sich verändernde Aerodynamik an den Tragflächen und das heftige „nach hinten drücken“ der in der Regel unter den Tragflächen angebrachten Triebwerke eine recht heftige „Nase nach unten“ Bewegung auslösen, die man nicht haben will, während man „auf dem Hauptfahrwerk, die Nase hoch, balanciert“.
Dieses „Nase nach unten“ Moment bei der Aktivierung der Schubumkehr ist übrigens auch der Grund, warum die Schubumkehr bei der Landung nicht bis in den niedrigsten Geschwindigkeitsbereich beibehalten wird.
Viele Maschinen können die Umkehr nur in ca. dem obersten Drittel (!) des bei der Landung genutzten Geschwindigkeitsbereichs nutzen. Sprich: Bei einer Landung, die beim Aufsetzen 240 km/h Geschwindigkeit schnell ist und einer Begrenzung auf mindestens (!) 150 km/h Geschwindigkeit während der Benutzung der Schubumkehr, stehen gerade mal 90 km/h Differenz für die Nutzung der Umkehr zur Verfügung.
Dieser Bereich ist bei jedem Flugzeugtyp unterschiedlich groß, aber bei allen Mustern vorhanden. Darüber hinaus besteht bei der Nutzung der Schubumkehr auch immer ein (von Typ zu Typ unterschiedlich großes) Risiko von „Foreign Object Damage“ (FOD), dem Einsaugen von Fremdkörpern durch die Triebwerke. So wird die Schubumkehr auf bestimmten weniger gut gewarteten Flughäfen nicht oder nur im Ausnahmefall verwendet.
Witzig, solange es einem nicht passiert und man die Rechnung nicht zu bezahlen hat: Bei potenten Business Jets mit hoch am Rumpf angebrachten Triebwerken kann die Schubumkehr so viel „Nase Hoch“ Moment liefern, dass das Flugzeug „Männchen“ macht. Das ist nicht nur in Sachen Steuerung ein Problem, es besteht auch die Gefahr eines Aufsetzens des hinteren Rumpfs, mit sehr teuren Folgen.
Erhöhte Sicherheit. Bei nassen oder vereisten Bedingungen, wenn die Radbremsen beeinträchtigt sein könnten, spielen Schubumkehrer eine entscheidende Rolle bei der Gewährleistung einer sicheren Verzögerung. Hier sollte aber klar gesagt sein, dass man sich nicht (!) auf die Schubumkehr verlässt. Sie ist sozusagen ein „Bonus“ für mehr Sicherheitsreserven.
Mehr zum Thema Varianten
Elektrische Schubumkehrer. Diese sind noch (!) kein Thema. Da aber Hydraulik, im Vergleich zu modernen elektrischen Systemen, wartungsintensiver, schwerer und kostenintensiv ist, plant man schon in naher Zukunft elektrisch gesteuerte Schubumkehr zu nutzen.
Schubvektorisierung. Die von modernen Jets wie der F-22 bekannte Umleitung des Schubs um die Querachse ist im Prinzip auch eine Schubumkehr, nur nicht um 180 Grad. Auch hier gilt: Fehlfunktionen können hochgradig problematisch sein, weswegen diese Systeme erst seit einigen Jahren in der Serienproduktion genutzt werden und sehr wartungsintensiv sind.
Ein entscheidender Nachteil:
Lärm. Schubumkehrer können die Lärmbelastung erheblich erhöhen, und ihre Verwendung kann auf bestimmten Flughäfen während des Nachtbetriebs eingeschränkt sein. Da der Mensch vor allem auf sich veränderndes Geräusch mit Streß reagiert, ist das Verstummen der Triebwerke, gefolgt von einem atypischen lauten Rauschen etwas, das vor allem die Nachtruhe empfindlich stören kann. Auch werden Geräusche der Schubumkehr meist als störender empfunden, als das Geräusch der Triebwerke beim Start. Dabei sollte die Landung in jeder Phase viel leiser sein, als ein Start.
Übrigens haben nicht nur Jets eine Schubumkehr Funktion:
Auch viele Turboprop Flugzeuge besitzen ein Äquivalent, es ist nur nicht so deutlich zu sehen. Der Propeller der Turboprop Flugzeuge ist sowieso schon in der Steigung seiner Blätter verstellbar, um sich optimal an die jeweiligen Flugbedingungen anpassen zu können. Der Verstellbereich wird nur von „vorwärts flach bis vorwärts steil“ um einen sogenannten „beta pitch“ erweitert.
Dieser „beta pitch“ kann von 0 Grad, also einem einfachen „Nullen“ des Vorwärtsschubs, bis zu über -20 (!) Grad Propellerwinkel reichen. Gerade Flugzeuge, bei denen asymmetrischer Schub keine Gefahr darstellt, weil sie nur ein mittig angebrachtes Triebwerk besitzen, können hier punkten. Diese Modelle sind zumeist auch in anderer Hinsicht für den Betrieb auf kurzen Landebahnen optimiert.
Auch wird dieser „Umkehrschub“ immer wieder auch im Flug verwendet, da kleinere Flugzeuge meist keine komplexen Mechanismen besitzen, die die Aktivierung im Flug verhindern. So wurde – entgegen der Empfehlungen der Hersteller – schon viel zu oft bei der Pilatus Porter PC-6 der „beta pitch“ verwendet um beispielsweise einen steileren Abstieg zur „Home Base“ nach dem Absetzen von Fallschirmspringern zu erreichen, oder um unter Beschuß einen steileren Anflugwinkel zu erreichen.
Diese Praxis ist aber nicht vom Hersteller empfohlen.
Darüber hinaus sei noch eine selten beobachtete, weil unscheinbare, aber doch weit verbreitete Methode der Bremswegverkürzung bei kleineren Business Jets erwähnt. Die Cessna Citationjet Serie setzt seit vielen Jahren erfolgreich sogenannte „Paddles“ ein.
„G-KION – Cessna 525 CitationJet CJ1 BHX 311019“ by kitmasterbloke, CC BY 2.0 .
Das sind feuerfeste kleine Metallflächen, die hinter den Triebwerken in Richtung des Rumpfes und des Luftstroms montiert sind. Will man verhindern, dass der „Leerlauf“ Schub der Triebwerke nach dem Aufsetzen den Bremsweg unnütz verlängert, klappt man diese „Paddles“ vom Rumpf weg quer hinter den Luftauslaß der Triebwerke und verhindert somit, dass „Restschub“ entsteht.
Eine sehr einfache Methode, die aber völlig ausreichend ist: Diese Flugzeuge landen so langsam, dass ein „vollwertiger“ Umkehrschub nur ein sehr geringes Geschwindigkeitsband zur Benutzung hätte. Die Wirkung auf den Bremsweg wäre nur marginal höher, bei viel höherem Gewicht und Wartungsaufwand.