Fat Albert, die Hercules C-130 und diese JATO Sache

Autor: expertinfantry, https://www.flickr.com/photos/58297778@N04/5354966132

Fat Albert, die Hercules C-130 und diese JATO Sache

Fat Albert ist der liebenswerte Spitzname für das Support-Flugzeug des Blue Angels Demo Teams der United States Navy (Ext. Link)

Fat Albert (kein Body Shaming, er steht zu seinem Spitznamen) ist eine Lockheed C-130 Hercules „Transport“maschine. Ein Typ, der seit 1956 (!) zum Rückgrat der US Streitkräfte (und vieler NATO Länder und einiger ziviler Unternehmen) gehört.

(Beitragsbild: Autor: expertinfantry, https://www.flickr.com/photos/58297778@N04/5354966132)

Die Lockeed C-130 Hercules

…wurde nach dem Korea Krieg von Grund auf neu als militärisches Flugzeug entwickelt, was in diesem Segment zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit war. Viele andere „Utility“ Flugzeuge wurden aus zivilen Mustern hergeleitet.

Die Entscheidung zur Entwicklung fiel als klar wurde, dass kolbengetriebene Flugzeuge nicht genug Leistung für den Transport von schwerem Gerät haben.

Anfängliche Überlegungen, die Hercules mit Jet Triebwerken auszustatten, wurden schnell verworfen: Diese hatten in niedrigen Höhen (Start, Landung, Geländeverfolgungsflug) nicht nur zu wenig Leistung, ihr Verbrauch war auch zu hoch.

Bei den Triebwerken

…entschied man sich für die damals brandneue Allison T56 Turbine in Form eines Turbinen-Propeller-Antriebs, kurz Turboprop.

Die Allison T56 stellte genug Leistung zur Verfügung und wurde über die Jahre ein sehr erfolgreiches Triebwerk für eine große Anzahl militärischer Muster und wurde über 18.000 Mal gebaut.

Als direkt angetriebene Turbine (die Propellerwelle ist direkt an den Kompressor des Triebwerks angebunden) ist sie effizient, aber bei einem Triebwerksausfall problematischer als „Freie Turbinen“, die noch ein Getriebe als Vermittler zwischen Antrieb und Propeller besitzen.

Direkt angetriebene Turbinen neigen dazu im Störungsfall den Propeller in eine „Overspeed“ Situation zu bringen, in der er sich durch exzessive Rotationsgeschwindigkeit selbst zerlegen und als Schrapnell andere wichtige Teile des Flugzeugs wie Triebwerke und Steuerflächen zerstören kann.

Bei einem Triebwerksausfall ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Propeller stehen bleibt und mit seiner flachen Steigung im normalen Betrieb eine enorme Bremswirkung (und damit Asymmetrie) erzeugt. Dies oft bis zur Belastungsgrenze der Bauteile oder darüber hinaus.

Fast alle Hercules Varianten vor dem Umstieg auf die „C-130J“ Variante erhielten T56 Triebwerke, oder Derivate davon. Erst die C-130J (und die AC-130U) erhielten Rolls Royce AE 2100D3 Triebwerke, die von der bisherigen Triebwerksphilosophie abwichen.

Die Rolls Royce AE2100D3 Triebwerke entstammen der Allison Engine Company AE Triebwerk Serie. Sie sind damit keine direkt angetriebenen Turboprops wie die T56, sondern mit einem Getriebe zwischen Triebwerk und Propeller ausgestattet.

Dieses Getriebe erhöht zwar einerseits die Komplexität des Triebwerks, addiert eine weitere Ausfallquelle zum Gesamtsystem und verschlechtert theoretisch insgesamt die Effizienz, bietet aber ein gutmütigeres Verhalten im Falle eines Triebwerksausfalls und erleichtert die Bedienung am Boden.

(Davon abgesehen sind direkt angetriebene Turboprop Triebwerke der erklärte Feind aller Anwohner von Flughäfen und Airbases: da der Propeller durch die auch am Boden recht hohe Leerlaufdrehzahl der Turbinen schnell mitdreht, müssen die Propellerblätter sehr flach eingestellt werden, um nicht zu viel ungewünschten Vortrieb während der Rollvorgänge zu erzeugen. Dabei kommt es zu einer hochfrequenten Geräuschbelastung mit hohem Schalldruck, keine Freude für Menschen, die schlafen wollen.)

„Vertrauenswürdig“

…war und ist die Hercules auf jeden Fall. Beispiel?

Die C-130 erlebte einige schwere Störungen und Unfälle, aus denen sie oft das Beste machte. Neben „abrasierten“ Propellern durch sowjetische Jagdflugzeuge gab es beispielsweise einen schweren Unfall, bei der eine F-35 zwei Triebwerke einer KC-130 lahm legte. Während der F-35 Pilot sich mit dem Schleudersitz rettete, rettete sich die KC-130 (Tanker!) Besatzung mit einer Notlandung.


„Erfolgreich“

…ist kein passendes Wort, wenn man über die C-130 redet. Nicht nur, dass sie über die Jahre mehr als 2.500 mal (!) gebaut wurde, sie hat auch eine hervorragende Historie in Sachen Sicherheit.

Zwar kann sie bei der Wartungsfreundlichkeit nicht mit moderneren (am Computer entworfenen) Mustern mithalten, aber die Vielzahl an „Special Use“ Varianten des Modells spricht wahrlich für sich.

Unter anderem existieren Versionen, die Hubschrauber und Flugzeuge betanken können, wie die KC-130 Version des United States Marine Corps. Oder PsyOps (!) Versionen mit eingebautem Radiosender und der Möglichkeit, Flugblätter abzuwerfen.

„Mächtig“

…ist aber vor allem die „Gunship“ Familie.

Die hoffnungslos untermotorisierte Douglas C-47 „Spooky“ wurde hier durch eine frühe C-130 Version ersetzt, der man nicht nur eine ganze Reihe an Waffen, sondern auch einen analogen (!) Feuerleitcomputer und begrenzte Nachtsichtfähigkeit spendierte. Im Jahr 1967!

Die Hercules-basierte Version war bei den GIs im Vietnam Krieg sehr beliebt und auch sehr erfolgreich, was zu immer weiteren Versionen über die Jahre führte.

Von der ursprünglichen Bewaffnung der ersten „Spectre“ Version mit ihren 4 x 7.62mm Gatling Guns und einer einzelnen 20mm Maschinenkanone bis zur aktuellen Bewaffnung wurde viel Entwicklungsarbeit geleistet:

Die aktuelle „Ghostrider“ Version besitzt neben einer Präzisionsgeführten 30mm Maschinenkanone und einer 105mm M102 Haubitze (!) inzwischen auch ein breites Spektrum an gelenkten Waffen und Abstandswaffen, wie der GBU-39 SDB (Small Diameter Bomb) nebst ihrem Nachfolger der GBU-53 SDB II und AGM-114 Hellfire Raketen.

Überdies sind die Ghostrider elektronisch auf dem Stand der Dinge, mit einem offensiven und defensiven Sensorpaket und einer Einbindung in die elektronischen Kampfsysteme der Streitkräfte.

Wer hätte DAS 1956 bei Indienststellung der ersten Hercules gedacht?

Aber zurück zu Fat Albert

…nach diesem kurzen Ausflug zu den Triebwerken.

Das Demo Team der US Navy hatte vor Albert eine Vielzahl von „Unterstützungsflugzeugen“ für den Transport des Teams und von Teilen. Unter anderem sogar eine Lockheed Super Constellation.

Im Jahr 1970 erhielten die Blue Angels ihre erste Lockheed C-130F Hercules, die 1992 durch eine C-130T ersetzt wurde.

Beide Typen flogen ein ausführliches Demonstrationsprogramm als Vorprogramm des eigentlichen Blue Angels Demo Teams, das derzeit mit F-18 unterwegs ist.

Im Verlauf der Demonstration startete „Fat Albert“ mit am Rumpf angebrachten JATO Raketen.

JATO Raketen

…sind Feststoffraketen, die eine lange Geschichte als Starthilfe besitzen. Sie entstanden ursprünglich in Russland, um den zu langen Startstrecken der verwendeten Flugzeuge zu begegnen und wurden über die Jahre in allen größeren Luftstreitkräften verwendet.

Dabei gab es die interessantesten Ideen und Ausführungen.

Ursprünglich, wie bei Fat Albert, als Startstrecken-Verkürzung gedacht, trieb man die JATO Bestückung während des Kalten Kriegs wahrlich auf die Spitze. Bis hin zu den (offiziell!) nur als Prototypen gebauten „Jets on a stick“, die aus gut getarnten Gebäuden, wie Scheunen (!) gestartet werden sollten.

(F-104G, Mit Rocket Booster, Gatow. Autor: „MoRsE“, Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/JATO#/media/File:F-104_with_rocket_booster.JPG)

„Jet on a stick“ wurde hierbei bewusst als Begriff verwendet, weil er schon durch das darstellen ausgemusterter militärischer Muster im Eingangsbereich von Militärbasen verwendet wurde.

(Je häufiger ein Begriff im allgemeinen Sprachbegriff auftaucht, desto problemloser ist sein Auftauchen im Rahmen von streng geheimen Projekten: Der Begriff geht schlicht im „Hintergrundrauschen“ unter.)

Die Mullahs

…im Iran lösten eine der interessantesten, waghalsigsten und leider auch erfolglosesten Varianten der JATO Benutzung aus.

Um auf einem extrem kurzen „Landeplatz“ (ein Stadion) landen zu können (der Start war ja gut erprobt und „Standard“, dank JATO), montierte man eine Vielzahl an JATO Raketen an eine C-130.

Geplant war, dass das für die Landung viel zu kurze Landefeld normal angeflogen würde.

Kurz vor dem Abfangbogen würden zuerst Raketen unter dem Flugzeug gezündet, die die Vertikalgeschwindigkeit reduzieren und eine Art „Luftkissen“ erzeugen sollten.

Nach diesem Luftkissen sollten JATO Raketen gezündet werden, die durch Ausrichtung entgegen der Flugrichtung die Horizontalgeschwindigkeit reduzieren sollten.

Leider zündeten beim ersten und einzigen Probelauf die „Bremsraketen“ in Horizontalrichtung vor denen die, einen sanften Übergang in Sachen Vertikalgeschwindigkeit erzeugen sollten. Das Resultat war ein optisch eindrucksvolles Feuerwerk mit zahlreichen Verletzten und einem jähen Ende für das Projekt.

Zivilisten

…hatten nicht viel von JATO Raketen, wenn sie nicht gerade Fat Albert beim „Hot Burrito Start“ zuschauen durften.

Zwar gab es reichlich Ideen (und auch technische Vorbereitungen und Erprobungen) um den Startlauf ziviler Flugzeugmuster zu verkürzen, aus verschiedenen Gründen wurde dies aber – wenn überhaupt – nur im Einzelfall genutzt.

Der Grund hierfür waren nicht nur Sicherheitsbedenken bei an den Triebwerksgondeln befestigten JATO Raketen: bei einem Zündversagen käme es zu einem kaum zu beherrschenden Zustand asymmetrischen Schubs in einem Geschwindigkeitsbereich in dem die Steuerflächen für einen geordneten Startlauf in korrekter Ausrichtung nicht ausreichen würden.

In den wenigen Fällen, in denen tatsächlich „in die Trickkiste gegriffen wurde“, verwendete man vor allem Dinge wie das Einspritzen von profanem Wasser. Dieses kühlte nicht nur die Triebwerkstemperatur etwas ab, das Vorhandensein der Partikel erhöhte auch den „Schub“ der Triebwerke um einige Prozent. Ganz ohne „Feuerwerk“, das in der Zivilluftfahrt eher weniger gewünscht war und ist.

Und: Sie kamen im zivilien Betrieb auch schlicht zu spät.

Die Jet Triebwerke entwickelten schon nach wenigen Jahren mehr als genug Schub für einen sicheren Start auch auf kürzeren Strecken.

Fat Albert beim Start sehen

…ist immer noch möglich, denn auch die seit 2020 in Betrieb befindliche C-130J „Super“ Hercules turnt äußerst elegant und behende um die Zuschauer herum und ist ein echter Augenschmauß.

Das Feuerwerk

…gibt es allerdings nicht mehr: die JATO Starts wurden bereits 2009 aus dem (offiziellen) Programm genommen.

Grund hierfür war der schwindende Bestand an JATO Rockets. Der machte die Beschaffung immer schwerer und die Wartung immer extensier: die veralteten Raketen mussten stichprobenartig darauf getestet werden, ob sie überhaupt noch funktionieren…

Fat Albert

…ist also immer noch hochinteressant anzusehen, auch wenn er nicht mehr so spektakulär abhebt. Man muss aber auch nicht alles „live“ gesehen haben und kann sich deshalb einfach auf youtube.com und anderen Plattformen bedienen: es gibt eine Unzahl interessanter Videos über Albert und seinen Hang zu kurzen Starts.

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